Liebe Freunde,

Als der am 23. April 2019 verstorbene Großherzog Jean am 6. Februar 1998 in Nagano seinen Platz im Internationalen Olympischen Komitee an seinen Sohn Henri abtrat, durfte er auf eine lange Zeit im Dienste der olympischen Bewegung zurückblicken. Als „Doyen” des IOC hatte der Großherzog bis zu diesem Zeitpunkt Höhen und Tiefen der olympischen Bewegung durchlebt.

Nach Maurice Pescatore, dem Gründer des „Comité Olympique Luxembourgeois”, der unser Land von 1910 bis 1926 im höchsten Sportgremium der Welt vertrat, war der Großherzog erst der zweite Luxemburger, der ins IOC gewählt wurde. Das war am 4. September 1946, als der Krieg noch keine zwei Jahre beendet war und der Sport für ein besseres Verständnis unter den Völkern sorgen sollte.

Der Großherzog selbst bezeichnete die Kriegswirren als eine der Hauptursachen für seinen Einzug ins IOC. Wörtlich sagte er am 31. Oktober 1996, als er von den einheimischen und den internationalen Sportverantwortlichen im Stadttheater von Luxemburg für seine 50jährige Zugehörigkeit im IOC geehrt und gefeiert wurde. „Je suis entré au CIO essentiellement pour deux raisons. Profondément marqué par le conflit qui avait ensanglanté le monde de 1939 à 1945, j’avais la conviction qu’il fallait agir pour éviter le retour de tels événements. Le sport, et le mouvement olympique en particulier, m’apparaissait comme pouvant suffisamment contribuer à bâtir un monde pacifique et meilleur. Par ailleurs, je considérais, et continue de considérer, que le sport, notamment dans sa plus haute expression, l’Olympisme, grandit l’homme, car il est porteur de valeurs éducatives et morales fondamentales. Durant mes 50 années d’appartenance à l’autorité suprême du mouvement olympique, j’ai été un témoin privilégié de son évolution”.

1946, als der Großherzog erstmals im IOC tagte, zählte dieses Gremium 17 Mitglieder. 50 Jahre später waren es deren 113, heute gar 140 (96 stimmberechtigte reguläre Mitglieder,  41 Ehrenmitglieder, 2 Mitglieder ehrenhalber und 1 Ehrenpräsident). Allein diese Zahlen liefern den Beweis, in welchem Masse die olympische Bewegung gewachsen ist. Gesprochen wurde damals nur französisch und englisch, wobei eines der Mitglieder bei Bedarf die Rolle des Übersetzers übernahm.

Zusammen mit Großherzog Jean wurden 9 andere Mitglieder ins IOC aufgenommen. Das Gremium stand im Jahr 1946 unter der Präsidentschaft des Schweden Sigfrid Edström. 1952 übernahm der Amerikaner Avery Brundage für zwei Jahrzehnte den Vorsitz. „Brundage, ein früherer Zehnkämpfer, hatte seine eigene Meinung über den reinen Amateurismus. Während seiner Präsidentschaft ließ ihn dieser Gedanke nicht los”, so der Großherzog in der Dankesrede anlässlich seiner Ehrung. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass man sich 1956 zum ersten Mal mit dem Problem des Dopings auseinandersetzen musste: „Dans la lutte contre le dopage, l’action du CIO a été et continue d’être exemplaire. Au regard des autres défis auxquels se trouve confronté le mouvement olympique, il s’agit de rechercher et d’assurer en permanence un juste équilibre entre le pouvoir d’auto-décision des instances sportives et les influences extérieures”.

1972 übernahm der Ire Michael Morris, 3. Baron Killanin, in der Öffentlichkeit meist Lord Killanin genannt, die Geschicke des IOC, 8 Jahre später trat der Spanier Antonio Samaranch das Amt des Präsidenten an. „Der Baden-Badener Kongress (1981) war der Beginn der Erneuerung. Von diesem Zeitpunkt an war das IOC unumstrittener Wortführer im Weltsport”, so der Großherzog, der gleichzeitig die Bemühungen Samaranchs zur Förderung der „Olympischen Kultur” hervorhob. Diese fand ihren Höhepunkt im Olympischen Museum in Lausanne, „wo auch Musiker und Künstler starker in die olympische Bewegung miteingebunden sind”.

In den Jahren der IOC-Mitgliedschaft des Großherzogs änderte der Sport gewaltig. Wie hätte es auch anders sein können in einer Gesellschaft, die ständig im Umbruch ist und nach Höherem strebt. „Il convient pourtant”, meinte der Großherzog seinerzeit, „de ne pas occulter le fait que l’amateurisme, fruit d’une société d’une autre époque, menaçait de devenir un facteur d’inégalité, au plan des individus comme des nations. Or le sport, le plus universel et le plus égalitaire des langages, doit être le plus largement accessible à tous”.

Als dienstältestem Mitglied der IOC oblag es dem Großherzog, bei Kongressen und Tagungen das Schlusswort zu sprechen. Dabei beschränkte er sich nicht nur auf die üblichen Höflichkeitsfloskeln, sondern schnitt auch Themen an, die den Luxemburger Sport im Rahmen der  olympischen Bewegung betrafen. In Birmingham, 1991, sagte er beispielsweise folgendes: „De nombreux CNO éprouvent de réelles inquiétudes face à la mise en place d’une limitation de plus en plus rigoureuse de la participation individuelle aux Jeux Olympiques et face au développement du système des quotas et des épreuves de qualification. Les Jeux Olympiques, qu’il ne faut pas confondre avec des Championnats du Monde, doivent être ouverts aux athlètes de tous les pays en voie de développement et de plus petite dimension”.

Obwohl er davor warnte, in olympischen Tourismus zu verfallen, meinte der Großherzog, man müsse alle Kräfte bündeln, um einen akzeptablen Kompromiss zu finden und sowohl die Universalität der Spiele als auch ihr Niveau zu erhalten.

Besonders am Herzen lag dem Großherzog natürlich die luxemburgische Beteiligung an den Olympischen Spielen, wobei der Höhepunkt zweifellos 1952 in Helsinki war, als er dem Sieger des 1500-Meter-Laufes, Josy Barthel, die Goldmedaille um den Hals hängen durfte. Offiziell ist dies die einzige Goldmedaille, die Luxemburg in einem sportlichen Wettbewerb bei Olympischen Spielen errang, obwohl in der Zwischenzeit längst gewusst ist, dass auch der Sieger des Marathons von 1900 in Paris, Michel Théato, ein Luxemburger war. Für das IOC ist und bleibt dieser Théato unverständlicherweise ein Franzose!

In den Jahren nach Josy Barthel hat Großherzog Jean mit den Luxemburger Sportlern gehofft und gebangt, hat Freuden und Enttäuschungen mit ihnen geteilt, war sozusagen bei allen Wettkämpfen präsent und hat es nie an Unterstützung fehlen lassen. Seine Besuche im Olympischen Dorf und die Stunden, die er und Großherzogin Joséphine-Charlotte mit den luxemburgischen Sportlern verbrachten, gehörten zu einer Tradition, die später vom großherzoglichen Paar Henri und Maris-Teresa fortgesetzt wurde.

Von den vielen olympischen Sommer- und Winterspielen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stattfanden, verpasste Großherzog Jean deren nur drei: die Spiele von 2000 in Sydney, die in seine Abdankung fallen sollten, die Spiele von 1964 in Tokio, die etwa zeitgleich mit seiner Thronbesteigung stattfanden, sowie die in vielen Ländern umstrittenen und von diversen Staaten boykottierten Spiele von Moskau 1980.

Damals sprach die Regierung sich offen gegen eine Teilnahme Luxemburgs aus. Das „Comité olympique et sportif luxembourgeois” aber ließ sich nicht dreinreden und schickte den Bogenschützen André („Spatz”) Braun, den Geher Lucien Faber und den Kleinkaliberschützen Roland Jacoby nach Moskau. Diese Spiele spalteten auch die Luxemburger Presse, denn nur „Tageblatt”, „Le Républicain Lorrain”* und „Zeitung vum Lëtzebuerger Vollék” berichteten live aus Moskau. „Luxemburger Wort“ und „Radio Lëtzebuerg“ passten, sie waren der Regierung hörig.

Nach den Olympischen Winterspielen von Grenoble (1968) sollte Großherzog Jean die Präsidentschaft der Untersuchungskommission der Winterspiele des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) übernehmen. Seit seiner Jugend war der spätere Landesvater ein ausgezeichneter Skifahrer. Daran änderte auch das Missgeschick nicht, das er 1952 in Lech (Arlberg) erlitt, als er sich ein Bein brach. Mit zunehmendem Alter wechselte der Großherzog die Wintersportdisziplin. Er sagte dem alpinen Ski ade und begeisterte sich zusehends für den Langlauf. Diese Sportart wurde bis ins hohe Alter auch von Großherzogin Joséphine-Charlotte praktiziert.

Doch zurück zur Wintersportkommission des IOC, auf deren Präsidentschaft Großherzog Jean verzichtete. Für das Amt des Vorsitzenden setzte er sich vielmehr für den Holländer Herman van Karnebeek ein, der dann auch gewählt wurde. Auf Vorschlag des Großherzoges versammelte die Kommission sich auf Schloss Colmar-Berg, wobei der damalige „Aide de camp”, Major Germain Frantz, die Sekretärfunktion ausübte. Später (1973 – 1976) übernahm Großherzog Jean doch noch den Vorsitz einer IOC-Kommission, und zwar derjenigen, die sich mit den Regeln befasste.

1993, anlässlich des 100. Gründungsjahres des IOC, dankte das COSL dem Staatsoberhaupt für sein langjähriges Engagement zugunsten des olympischen Geistes. Großherzog Jean wurde mit der Trophäe ausgezeichnet, die in allen dem IOC angeschlossenen Ländern eine Persönlichkeit belohnte, die sich mit Nachdruck für den olympischen Gedanken einsetzte.

Die großherzogliche Familie hatte seit jeher viel mit dem Sport zu tun. So war der Vater des abgetretenen Großherzoges, Prinz Felix, Ehrenpräsident des Nationalen Olympischen Komitees, das damals noch COL hiess. Der Prinz von Luxemburg (so sein offizieller Titel) stiftete der FLF die „Coupe de Luxembourg” für Seniorenmannschaften, während die Fußball-Junioren bis in die 60er Jahre hinein zu Ehren des damaligen Thronfolgers die „Coupe Prince Jean” austrugen.

Erst als Großherzog Jean die Nachfolge seiner Mutter Charlotte angetreten hatte, wurde die „Coupe Prince Jean” von den FLF-Gremien in „Coupe du Prince” umbenannt. Eine „Coupe du Prince” lässt auch der Leichtathletikverband austragen. Dieser Pokal wurde genau wie die „Coupe du Grand-Duc“ vom Herrscherhaus gestiftet.

Schließlich war der Großherzog in seiner Eigenschaft als Luxemburger Vertreter im IOC von Amts wegen Mitglied des COSL-Verwaltungsrats. Gelegentlich wohnte er Sitzungen bei, hielt sich ständig informiert und war meistens auch präsent, wenn die Olympiaselektion vorgestellt wurde. Ein regelmäßiges Rendez-vous wollte das großherzogliche Paar auf keinen Fall verpassen: das traditionelle Stelldichein der alten Olympioniken, zu dem regelmäßig geladen wurde.

Am 6. Februar 1998 trat der damalige Erbgroßherzog Henri im IOC in die Fußstapfen seines Vaters, den er am 7. Oktober 2000 auf dem Thron ablöste. Seit diesem Tag vertritt das Landesoberhaupt die Interessen Luxemburgs auf Sportebene mit dem gleichen Engagement wie sein Vater. Regelmäßigen Kontakt mit den Sportlern pflegen Henri und Maria Teresa u.a. bei den Olympischen Spielen und den „Spielen der Kleinen Staaten Europas”.

*) Die französische Zeitung „Le Républicain Lorrain“ hatte  damals täglich eine auf Luxemburg zugeschnittene Ausgabe.

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